Wandskulptur Abstrakt

ohne Titel

Künstler müssen ihre Kunst nicht verstehen, sie müssen sie nur machen. Das Verstehen besorgt die Kritik, auch wenn sie nichts von Kunst versteht. 

 

   So etwa erntete Ludwig van Beethoven bei der Uraufführung seiner 3. Sinfonie in Wien nur Unverständnis. Neues braucht eben Zeit, um seine Wirkung zu entfalten.

   

   Besonders bei der Betrachtung abstrakter Kunstwerke findet man sich auch als KritikerIn immer wieder in dieser Zwickmühle, mit der alle KünstlerInnen, die sich mit ihren Werken in die Öffentlichkeit wagen, leben müssen. KritikerInnen müssen Kunstwerke einer interessierten Öffentlichkeit zur Kenntnis bringen, auch wenn ihnen ein echtes Verständnis für Neues vielleicht abgeht. Diese feuilletonistische Arbeit gehört zur Rezeption von Kunst, gleich welcher Art. Die in diesem Beitrag vorgestellte Arbeit von B.C.Barten illustriert dieses Dilemma besonders gut.

 

   Was, bitte, sieht man denn eigentlich? Auf den ersten Blick scheinbar nicht viel, jedenfalls nichts irgendwie Realistisches oder Konkretes. Warum verharrt man doch einen Moment zu lang? Was hält einen davon ab, achtlos weiterzugehen? Woraus speist sich die Sogwirkung dieser Wandskulptur trotz aller Abstraktion?

 

   Die erste Antwort auf diese Fragen ist scheinbar simple. Sie ergibt sich aus den klassischen Merkmalen guter bildender Kunst, nämlich der Anziehungskraft der einzelnen formalen Elemente, gepaart mit deren farblicher Gestaltung. Häufig speist sich die Anziehungskraft gerade aus dem Nicht-Einhalten formaler Regeln, so wie sie  scheinbar als gültig bekannt sind. Das beginnt mit dem Verlassen der rechteckigen Begrenzung nach außen. Man nimmt diese Abweichung wahr, ohne zu wissen, was sie tatsächlich zum Ausdruck bringt. Rasch wird auch klar, dass eine schnelle, sozusagen im Vorbeigehen erhaschte Lösung als Antwort nicht zu finden ist. Gute abstrakte Kunst will das so. Also bleibt man stehen und schaut näher hin. Spätestens jetzt erkennt man, dass es sich bei diesem Bild um ein Relief handelt, dessen gestalterische Elemente zwei unterschiedlichen Vorgehensweisen entspringen. In die Grundplatte sind mit diversen Werkzeugen Vertiefungen eingeritzt, die so eine erste Struktur in die tönerne Leinwand bringen. Auf diese so strukturierte Grundplatte wurden in einem zweiten Schritt zusätzliche Elemente aus Ton aufgearbeitet. Man erkennt ineinander verschränkte einzelne Tonlappen und eine ganze Anzahl kleiner Kugeln.

 

   Im Ergebnis entsteht so ein deutliches gedankliches Zentrum, das sich aus der Grundplatte erhebt und diese an einigen Stellen auch schon überdeckt; man könnte auch sagen, einzunehmen begonnen hat. Der Einsatz der Farben verstärkt diesen Eindruck, wobei durch die Wahl der Farben das aufgearbeitete Zentrum mit der Grundplatte zu einer Einheit verschränkt wird. Was Seneca für dass Leben postulierte "Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, es ist zuviel Zeit, die wir nicht nutzen", gilt abgewandelt auch für die Kunst. Es gibt nicht zu wenig Möglichkeiten, die wir haben, es gibt zuviele, die wir nicht nutzen. B.C,Barten gehört zu jenen KünstlerInnen, die die Möglichkeiten, die sich ihr bieten, konsequent nutzt.

 

   Das hier vorgestellte Relief illustriert eine weitere formale Eigenschaft, die für ihre Arbeiten typisch ist. Sie bildet selten einen konkreten Gegenstand ab. Entsprechend gibt es auch kein eindeutiges Oben oder Unten. Dieses Relief verliert einmal mehr nichts von seiner assoziativen Sogwirkung, wenn man es um 90° gedreht aufhängt. Die andere Ausrichtung erzeugt einen neuen ästhetischen Reiz, der zu abgewandelten assoziativen Bildern beim Betrachten führt. Unterschiedliche Blickwinkel führen so zu unterschiedlichen, dennoch gleichermaßen überzeugenden, reizvollen Ergebnissen. Dennoch entsteht beim Verändern der Blickrichtung nie der Eindruck von Beliebigkeit. Im Gegenteil. Jede Variante besitzt ihre eigene Berechtigung. Als Besitzer hat man so mehrere Bilder in einem, einfach,  indem man die Ausrichtung der Hängung verändert. Man entdeckt eben keine neuen Erdteile, ohne den Mut zu haben, alte Küsten aus dem Auge zu verlieren, fand auch schon Andre Gide.

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